Thomas von Aquin (Joos van Ghent & Pedro Berruguete, Musée du Louvre, Paris)        
CORPUS THOMISTICUM
 
Ludwig Schütz
Thomas-Lexikon
 
Vorwort zur zweiten Auflage
 
 
3. Auflage von Enrique Alarcón vorbereitet
Pamplona, Universität von Navarra, 2006




Inhaltsverzeichnis




Die zweite Auflage dieses Thomas-Lexikons nennt sich gegenüber der ersten eine sehr vergrößerte. Und sie darf es, ganz abgesehen von ihrem äußern Format, nicht etwa bloß deshalb, weil in ihr die termini technici der beiden Summen des h. Thomas, mit denen sich die erste Auflage vorzugsweise befasste, auf Grund einer sorgsamen Nachlese vervollständigt erscheinen, sondern auch deshalb, ja deshalb am meisten, weil sie sich über sämtliche Werke und Schriften des h. Thomas erstreckt, sogar über solche, welche seiner Feder vielleicht oder wahrscheinlich gar nicht entstammen, obgleich sie freilich den echten Werken und Schriften des h. Thomas in den bisherigen Gesamtausgaben derselben beigefügt sind.

Die Anlage des Lexikons, wie sie ihm in der ersten Auflage gegeben worden, ist im wesentlichen beibehalten. Demnach werden zuerst die einzelnen termini technici, welche in den verschiedenen Werken und Schriften des h. Thomas vorkommen, für sich, sodann die Verbindungen derselben mit andern Kunstausdrücken und endlich die hauptsächlichsten Sentenzen d. i. allgemeinwissenschaftlichen Aussprüche, in denen dieselben enthalten sind, alphabetisch zusammengestellt, sinngemäß übersetzt und, wo es nötig schien, auch erklärt. Was diese Erklärungen insbesondere betrifft, so sind sie nicht bloß im Geiste des h. Thomas gegeben, denn das versteht sich ja ganz von selbst; commentatoris officium est —sagt mit Recht der h. Hieronymus, Ep. 30 (Apologeticus ad Pammachium pro libris contra Jovinianum), alias 50— non quid ipse velit, sed quid sentiat ille, quem interpretatur, exponere. Die gegebenen Erklärungen sind auch oft, viel öfter, als es in der ersten Auflage geschah und geschehen konnte, in die eigenen Worte des h. Thomas eingekleidet, so dass man den Anfang eines Titels zu einem ältern Werke —Divus Thomas sui interpres de divina motione et libertate creata, auctore A. Massoulié, Romae, 1692—, nämlich die Worte: Divus Thomas sui interpres, in Wahrheit als Motto auf das Titelblatt dieses Lexikons setzen darf. Und um die richtige und wahre Bedeutung bzw. die verschiedenen Bedeutungen der aufgeführten termini technici, sie sowohl in ihrer Einzeligkeit, als auch in ihrer Verbindung mit andern Kunstausdrücken genommen, in ein noch helleres Licht zu setzen, ist durchweg jedem Terminus der entsprechende Gegensatz gegenübergestellt und oftmal auch der Unterschied beider mit den Worten des h. Thomas ausdrücklich hervorgehoben; sagt ja er selbst —vgl. S. th. I. II. 42. 5 ad 3; 48. 3 ob. 3; in 4 sent. 50. 2. 4. 1 c.— im Anschluss an ein Sprüchwort: Contraria iuxta se posita magis elucescunt.

Die Einrichtung des Thomas-Lexikons hätte freilich auch in andrer Weise getroffen werden können, so nämlich, dass die einzelnen Kunstausdrücke, wie sie nicht bloß ihrer grammatikalischen Form nach zueinander gehören, sondern auch in ihrer sprachlichen Bedeutung voneinander abhängig sind, jedes mal zu einem Artikel vereinigt und dann gemeinsam übersetzt und erklärt worden wären. Diese Einrichtung wäre eine systematischere gewesen und hätte überdies noch den Vorteil gewährt, dass bei ihr manche Wiederholung in der Erklärung form- und sinnverwandter Ausdrücke vermieden worden wäre, wenn übrigens die Vermeidung einer solchen Wiederholung in Wirklichkeit einen Vorteil darstellt. Auf solche Weise ist z. B. der Thesaurus philosophorum seu distinctiones et axiomata philosophica von G. Reeb (Brixen, 1871) und das Lexicon peripateticum philosophico-theologicum von N. Signoriello (2. Aufl., Neapel, 1872) tatsächlich angelegt. Aber der erwähnte angebliche Vorteil wäre von Nachteilen begleitet gewesen, welche ihn mehr, als bloß einfach aufwiegen würden. Bei einer streng systematischen Anlage des Lexikons wäre es nämlich zunächst nicht möglich geworden, all die Verbindungen, welche form- oder sinnverwandte termini oftmals eingehen, der Reihe nach einzeln aufzuführen und zu erklären, ohne die Übersichtlichkeit und Klarheit des jedesmaligen ganzen Artikels wesentlich zu beeinträchtigen. Und infolge einer solchen Anlage des Lexikons hätte sich beim Gebrauch desselben die fernere Unmöglichkeit ergeben, einen bestimmten Ausdruck, sei es ein einzelnes Wort, sei es eine Verbindung desselben mit einem andern, mit Leichtigkeit, Sicherheit und Schnelligkeit aufzufinden. Um dem letztern Nachteile, den sie selbst herausfühlten, in etwa zu steuern, hat daher Reeb sowohl, als Signoriello seinem eigentlichen Thesaurus bzw. Lexikon, von denen jener wie dieses schon für sich in zwei Thesauri bzw. Lexika zerfällt —jener in distinctiones philosophicae und axiomata philosophica, dieses in distinctiones praecipuae und effata praecipua— auch noch zwei Indices beigegeben, welche das Auffinden eines erklärten Ausdrucks oder Ausspruchs in dem einen und andern Thesaurus bzw. Lexikon erleichtern sollen. In Anbetracht dieser Nachteile schien es denn, als ob die streng alphabetische Anlage des Thomas-Lexikons vor der andern, etwas mehr systematischen Einrichtung desselben den Vorzug verdiene. Sie wurde deshalb auch für die zweite Auflage dieses Lexikons beibehalten. Freilich brachte jene Anlage es mit sich, dass, wie schon gesagt, die Erklärung mancher form- und sinnverwandter Ausdrücke wiederholt wurde; aber das ist doch wohl kein Nachteil. Oder soll die Klarheit einer Erklärung schon dadurch leiden, soll diese schon dadurch unklar werden, dass sie, vielleicht sogar mit denselben Worten, zwei- oder mehrmal ausgesprochen wird?

Was die Auswahl der Kunstausdrücke und allgemeinwissenschaftlichen Aussprüche betrifft, welche in das Thomas-Lexikon aufgenommen worden —die aufgenommenen Kunstausdrücke und allgemeinwissenschaftlichen Aussprüche des h. Thomas sind durch Fett- oder Sperrdruck kenntlich gemacht—, sowie die Angabe der Stellen, an denen die einen wie die andern bei dem h. Thomas vorkommen, so kann man ganz gewiss darüber streiten, ob dabei die goldene Mittelstraße innegehalten oder aber nach der Richtung des Zu-Viel oder des Zu-Wenig von ihr abgewichen worden sei. Jeder urteilt ja darüber nach einer Norm, deren Gültigkeit und Tragweite er zumeist nach eigenem Ermessen feststellt. Aber wenn bei Anfertigung dieses Lexikons in Bezug auf den darin aufgenommenen und verarbeiteten Stoff denn wirklich ein Fehler begangen worden sein sollte, so dürfte er sich wohl nicht so sehr als ein Fehler im Sinne eines defectus —mancher Ausdruck bzw. Ausspruch, welcher dem h. Thomas zugeschrieben wird, fehlt allerdings in diesem Lexikon, aber einfach deshalb, weil er entweder von dem h. Thomas gar nicht herrührt, oder wenigstens an der Stelle seiner Werke, auf welche dieser oder jener Autor verweist, sich nicht auffinden lässt—, als vielmehr in dem eines excessus erweisen, und der wäre, weil er ja unterstellte, dass das Lexikon jedenfalls das Notwendigste enthalte, sicherlich am leichtesten zu verzeihen. Im Übrigen dürfte man einen solchen Fehler, wenn er in Wirklichkeit vorläge, dem Lexikon eigentlich gar nicht zum Vorwurf machen, im Gegenteil, man müsste ihn sogar als einen glücklichen Fehler bezeichnen, und zwar deshalb, weil er für das Lexikon wesentliche Vorteile im Gefolge hat.

Da sind nämlich in einzelnen Artikeln des Lexikons Verbindungen des betreffenden terminus aufgenommen, und ebenso wissenschaftliche Aussprüche, in denen derselbe vorkommt, welche ohne Zweifel auch unübersetzt dem Verständnisse nicht die geringste Schwierigkeit darbieten und insofern in dem Lexikon fehlen könnten. Aber die Vollständigkeit in der Aufzählung der Verbindungen, welche die betreffenden termini bei dem h. Thomas eingehen, und der wissenschaftlichen Aussprüche, in denen sie angewendet sind, fordert auch die Anführung leichtverständlicher Verbindungen und Aussprüche, und diese Vollständigkeit ist ja schon an sich vollauf berechtigt. Überdies gibt es doch Gelegenheiten genug, in denen bald der Eine, bald der Andre wissen möchte, ob diese oder jene von den gedachten Verbindungen bzw. Aussprüchen auch schon bei dem h. Thomas vorkomme, und für solche Fälle wird man in der Anführung solcher Verbindungen und Aussprüche einen willkommenen Dienst erblicken. Sodann ist in das Lexikon ein und der andre Ausdruck aufgenommen, welcher nicht gerade einen terminus technicus im strengen Sinne des Wortes bildet, z. B. calor oder lux (sub b), und deshalb als überflüssig betrachtet werden könnte. Da aber die Erklärungen dieser Ausdrücke beweisen, dass der h. Thomas, ganz im Gegensatze zu den Anschauungen damaliger Zeit, wie auch vieler späterer Jahrhunderte, ja noch der neuern und neuesten Zeit, von den Dingen, welche mit jenen Ausdrücken bezeichnet werden, schon diejenige Vorstellung hatte, welche die heutige Wissenschaft als die einzig richtige erweist, so dürfte es ganz gewiss gerechtfertigt sein, auch solchen Ausdrücken einen Platz im Thomas-Lexikon einzuräumen. Und was endlich die Angabe der Stellen betrifft, an denen die einzelnen Kunstausdrücke und allgemeinwissenschaftlichen Aussprüche bei dem h. Thomas vorkommen, so ist dieselbe ein und das andre Mal in der Tat sehr reichhaltig ausgefallen; aber wenn man genauer zusieht, so wird man finden, dass sie niemals über das rechte Maß hinausgeht, man wird vielmehr erkennen, dass die Aufzählung der betreffenden Stellen entweder deshalb notwendig war, weil sie erst alle zusammen den Begriff des einen oder andern Terminus, um nur davon zu reden, vollständig zum Ausdruck bringen, oder aus dem Grunde, weil es in den verschiedenen Werken des h. Thomas die hauptsächlichsten Stellen sind, an denen er über die mit jenen termini bezeichneten Dinge handelt, so dass insofern das Thomas-Lexikon, welches zunächst freilich ein formales Gepräge tragen soll, auch den Charakter eines Reallexikons zu sämtlichen Werken des h. Thomas annimmt.

Zum Schlusse sei noch hervorgehoben, dass die termini und Texte, welche aus den verschiedenen Werken und Schriften des h. Thomas in dieses Lexikon aufgenommen worden, nicht in seiner eigenen Schreibweise wiedergegeben sind. Zum Teil geschah es deshalb, weil sich die Schreibweise des h. Thomas nicht mehr vollständig feststellen lässt. Zwar existiert von ihm noch das Autographon zur Summa contra Gentiles, aber dasselbe ist viel zu lückenhaft, als dass man aus ihm die lateinische Schreibweise des h. Thomas in ihrer Vollständigkeit herzustellen imstande wäre. Zum Teil wurde die Schreibweise des h. Thomas in diesem Lexikon auch aus dem Grunde verlassen, weil sie, insoweit sich dieselbe aus dem genannten Autographon noch erkennen lässt, von der lateinischen Orthographie im wahren Sinne dieses Wortes vielfach abweicht. So schreibt der h. Thomas in seinem Autographon, unterstellt freilich, dass in der neuesten Ausgabe desselben —besorgt von P. A. Uccelli in der von ihm herausgegebenen Summa contra Gentiles des h. Thomas, Rom, 1878— die Schreibweise des Aquinaten genau wiedergegeben ist, z. B. also: Averroys (II. 59 & 60); caracteribus (III. 105); colloqutiones (ib. 104), exequtio (ib. 77 & 94), exequtionem (ib. 94), praeloquta (ib. 93); contepnentes (ib. 135/136), contepnitur (ib. 132/133), dapnosi (ib. 135/136), dapnosus (132/133), dapnum (ib. 123), scapni (II. 21), sopnia und sopniis (III. 104); diffinitiones (I. 14; III. 49) und diffinitur (II. 48); habundantia (III. 69, 77 & 135/135), habundantius (ib.77), superhabundantia, superhabundantiae und superhabundantiam (ib. 108); nephas (ib. 51); phantasya (II. 48); Pictagoras (ib. 41); stoyci (III. 84); velud (ib. 112); Xristi (ib. 133/434), Xristo (ib. 80 & II. 43), Xristum (III. 132/133 & 135/136), Xristianae und Xristiano (II. 41); ydeas (III. 84), ydonei (ib. 135/136), ymago (ib. 130), ymagines (ib. 84), ymaginamur (I. 53), ymaginemur (III. 51), ymaginatae (ib. 104 & II. 47), ymaginatio (III. 84), ymaginationem (II. 47), ymaginationes (III. 104); Ysaiae (II. 41 & III. 89); IIII tuor (I. 53). Wie daher alle Ausgaben einzelner oder sämtlicher Werke des h. Thomas jedes mal nach der gerade herrschenden lateinischen Orthographie veranstaltet wurden, so ist auch in diesem Lexikon diejenige lateinische Rechtschreibung angewendet, welche heutzutage von den deutschen Philologen als die mustergültige betrachtet wird (vgl. W. Brambach, Hülfsbüchlein für lateinische Rechtschreibung, 3. Aufl., Leipzig, 1884).

Trier, am Feste des h. Thomas von Aquin 1895.
Der Verfasser.


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